Brandenburgisches Oberlandesgericht Urteil vom 11.07.2006 Geschäftszeichen 2 U 27/05
Vorinstanz Landgericht Potsdam Urteil vom 29.04.2005
Anwaltliche Kostenerstattung in abgabenrechtlichen Verfahren aus Amtshaftung
Von uns vertretene Wohnbauinvestoren aus Schleswig-Holstein hatten großflächig ehemalige militärische Liegenschaften im Raum Wünsdorf erworben und die dort aufstehenden Wohnbauten saniert und einer Vermietung zugeführt. Durch die zuständige Stadt wurden die Mandanten zu Benutzungsgebühren für die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung herangezogen. Nach dem Satzungsrecht der Gemeinde hatte die Heranziehung gegenüber den Grundstückseigentümern zu erfolgen und nur dann, wenn die Grundstückseigentümer nicht zu ermitteln waren, konnte auf einen weiteren Kreis der Abgabenpflichtigen ausgewichen werden.
Bei der Heranziehung unserer Mandanten durch die Stadt zu Benutzungsgebühren für die Wasserver- und Abwasserentsorgung hat sich die Stadt allerdings nicht an die konkreten Eigentümer der Grundstücke gewandt, sondern eine Firmenbezeichnung als Adressat der Gebührenbescheide gewählt, unter der die Investoren im Raum Wünsdorf wirtschaftlich aktiv waren. Da die in Schleswig-Holstein ansässigen und im Wesentlichen dort wirtschaftlich tätigen Investoren mit dem brandenburgischen Abgabenrecht keine Erfahrungen hatten, wurde ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit der Vertretung in dieser Sache beauftragt und es konnte diese Eigentumsproblematik sodann im Rahmen des Widerspruchs vorgetragen werden. Zuvor waren die jeweiligen Grundbuchunterlagen eingesehen und festgestellt worden, dass in der Tat die Verwaltungsakte gegenüber Personen bekannt gegeben worden sind, die nicht Eigentümer der Grundstücke waren.
Die Widersprüche führten zum Erfolg und die Stadt hob die belastenden Gebührenbescheide gegenüber den Adressaten auf.
Die hier vertretenen Mandanten beantragten sodann bei der Stadt, die mit der Inanspruchnahme des Anwalts verbundenen Kosten erstattet zu erhalten. Wohl wissend, dass in abgabenrechtlichen Angelegenheiten die sonst übliche Regelung der anwaltlichen Kostenerstattung nach § 80 Abs. 2 VwVfG nicht gilt und mangels Anwendbarkeit dieser Vorschriften nicht die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren festgestellt wird, bezogen sich die Mandanten als Anspruchsgrundlage ihrer Erstattungsforderung auf die Amtshaftung.
In der Argumentation wurde deutlich gemacht, dass von einer Gemeinde erwartet werden kann, dass sie in der Lage ist, ihr eigenes Satzungsrecht entsprechend anzuwenden und dann auch nur diejenigen zu Abgaben herangezogen werden, die nach eigenem Satzungsrecht dazu verpflichtet sind. Auch oblag es der Gemeinde eigenständig zu prüfen, wer Grundstückseigentümer ist, wozu auch andere Datenquellen in der Gemeinde, so etwa Grundbuchdaten, abgeglichen werden könnten.
Die Kosten der anwaltlichen Inanspruchnahme waren insoweit als Schaden beim Mandanten entstanden und konnten als Schadensersatz im Rahmen der Amtshaftung geltend gemacht werden.
Das Landgericht Potsdam hat die Klage zurückgewiesen und ausgeführt, dass es aus seiner Sicht schon an einer amtspflichtwidrigen Handlung auf Seiten der Gemeinde fehle, wenngleich wohl alle anderen Tatbestandsvoraussetzungen des Amtshaftungsanspruches gegeben wären. Das Landgericht sah schlicht ein Fehlverhalten auf Seiten der Gemeinde nicht.
Die hiergegen zum Brandenburgischen Oberlandesgericht geführte Berufung führte zum vollständigen Erfolg.
Das Oberlandesgericht hob das zuvor vom Landgericht Potsdam verkündete Urteil auf und verurteilte die beklagte Stadt zur Erstattung der mit der anwaltlichen Vertretung verbundenen Kosten zugunsten der hier vertretenen Mandanten.
In der Entscheidung führt das Oberlandesgericht aus, dass wie bei jeder Amtshandlung auch hier die Verpflichtung besteht, das geltende Recht richtig anzuwenden. Danach ist zu verlangen, dass die Voraussetzungen des Gebühren- oder Abgabentatbestandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutreffend ermittelt und sodann die geltend gemachten Beträge in richtiger Höhe festgesetzt werden, wobei die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung die abgabenerhebende Gemeinde trifft.
Die in der rechtswidrigen Inanspruchnahme liegende Amtspflichtverletzung beruht auch auf einem schuldhaften Verhalten der beteiligten Amtswalter. Allerdings liegt nicht in jeder objektiv falschen Rechtsanwendung zugleich eine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten. Zum amtspflichtgemäßen Handeln des Amtswalters ist erforderlich aber auch ausreichend, dass er bei der Rechtsanwendung die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft prüft und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine vertretbare Rechtsmeinung bildet. Diesen Anforderungen ist im Streitfall auch unter Berücksichtigung der abgabenrechtlichen Untersuchungs- und Aufklärungspflichten nicht genügt worden. Unter Berücksichtigung der Satzungsbestimmungen und der abgabenrechtlichen Ermittlungspflichten muss die erhebende Körperschaft die tatsächlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme jedenfalls einmal selbst prüfen. Die Gemeinde kann sich nicht blind auf Angaben Dritter verlassen. Sie ist in jedem Falle zur Erstermittlung verpflichtet.
Zudem stellt das Oberlandesgericht fest, dass den Klägern auch kein Mitverschulden zur Last fällt. Denn es besteht zu Lasten der Kläger nicht die Pflicht, gegenüber der Gemeinde auf die Eigentumslage hinzuweisen, denn entsprechende Verpflichtungen bestehen regelmäßig nach dem Satzungsrecht nur dann, wenn sich innerhalb des Erhebungszeitraums die Eigentumslage verändert. Wäre also ein Verkauf oder Erwerb eines Grundstücks erfolgt, bestünden entsprechende Mitteilungspflichten. Da sich die Eigentumslage hier aber nicht geändert hatte und lediglich die Kommune aufgrund des Unterlassens eigener Ermittlungen einen falschen Adressaten ausgewählt hatte, kann den Klägern ein Mitverschulden nicht angelastet werden.
Zudem stellen auch aus Sicht des Oberlandesgerichts die Kosten der Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren einen ersatzfähigen Schaden dar. Gerade im komplexen Abgabenrecht ist es erforderlich, anwaltliche Vertretung zu organisieren und insoweit entspricht die Kostenerstattung grundsätzlich der Regel.
In dem konkreten Falle war auch der anwaltliche Gebührenansatz einer Mittelgebühr gerechtfertigt, wobei das Gericht lediglich gehalten war, die Billigkeit der anwaltlichen Gebührenforderung zu prüfen. Dabei führte das Oberlandesgericht aus, dass es mit Rücksicht auf die einschlägige Kommentarliteratur jedenfalls nicht unbillig sei, das Bestehen einer Fachanwaltschaft bei der Bemessung der Geschäftsgebühr auch in einfachen Angelegenheiten angemessen zu berücksichtigen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Auftraggeber gerade auf die Tätigkeit eines Fachanwaltes Wert legt und dies im Hinblick auf den Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit auch nachvollziehbar erscheint. Für den Ansatz der Mittelgebühr war zu berücksichtigen, dass die Angelegenheiten tatsächlich und rechtlich eher einfach gelagert waren, sich andererseits aber erhöhend die Tätigkeit von Fachanwälten auswirkte.
Die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ist rechtskräftig.
Das Oberlandesgericht hat einen derartigen Fall der anwaltlichen Kostenerstattung in abgabenrechtlichen Verfahren über den Amtshaftungsanspruch erstmalig entschieden, folgt damit aber der Entscheidungspraxis anderer Obergerichte. Damit steht auch für das Land Brandenburg fest, dass der Amtshaftungsanspruch auch für den anwaltlichen Kostenerstattungsanspruch in abgabenrechtlichen Angelegenheiten fruchtbar gemacht werden kann. Diese Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts kann weitreichende Folgen für die Gemeinden und Aufgabenträger im Land Brandenburg haben, denn gerade in abgabenrechtlichen Angelegenheiten wird durch die Verwaltungen noch größere Sorgfalt in die Bearbeitung der Vorgänge zu legen sein. Bislang war es regelmäßig so, dass in abgabenrechtlichen Verfahren eine Kostenerstattung anwaltlicher Kosten nicht erfolgt ist, da die Verfahren nach der Abgabenordnung eine ähnliche Regelung wie etwa in § 80 Abs. 2 VwVfG zur anwaltlichen Kostenerstattung nicht kennen. Nun dürfte aber klargestellt sein, dass die anwaltliche Kostenerstattung direkt aus dem Amtshaftungsanspruch immer dann gegeben ist, wenn ein Amtswalter schuldhaft eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt und so die anwaltliche Tätigkeit notwendig wird.
Auch aus anderen Verfahren ist bereits die Tendenz erkennbar, dass auf die Gemeinden und Aufgabenträger immer mehr Verfahren in Bezug auf Amtshaftungsansprüche zukommen werden.